International
Zeit Online

Angriff USA: Diese Optionen hat das der Iran jetzt

Diese Optionen hat das iranische Regime jetzt

Der Iran steht an einem historischen Wendepunkt. Für die Islamische Republik birgt jede Reaktion Risiken. Nun wird sich zeigen, ob das Regime noch handlungsfähig ist.
23.06.2025, 11:0223.06.2025, 11:02
Omid Rezaee / Zeit Online
Mehr «International»
Ein Artikel von
Zeit Online

«Es wird keinen Krieg geben, und wir werden nicht verhandeln.» Als Ali Chamenei, der oberste Führer der Islamischen Republik, diesen Satz im April 2019 sagte, formulierte er nicht nur eine politische Überzeugung. Es war ein strategisches Dogma, das die Sicherheitsarchitektur des Irans in den folgenden Jahren prägen sollte. Der Glaube, dass niemand einen direkten Krieg gegen das Land riskieren würde, wurde zur festen Grundlage der iranischen Aussenpolitik. Selbst nachdem Israel in der Woche vor dem US-Angriff hochrangige Kommandeure der Revolutionsgarden tötete, Atomanlagen bombardierte, Raketenstellungen zerstörte und den iranischen Luftraum de facto dominierte, blieb die Annahme bestehen: Die USA würden sich nicht direkt einmischen.

Iranian protesters hold up posters showing the Supreme Leader Ayatollah Ali Khamenei, center, and the late revolutionary founder Ayatollah Khomeini in a protest following the U.S. attacks on Iranian n ...
Iranische Demonstranten halten Bilder von Ayatollah Ali Khamenei (Mitte) und dem verstorbenen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini hoch, 22. Juni 2025, Teheran.Bild: keystone

Doch in der Nacht auf Sonntag wurde diese Auffassung widerlegt. Die US-Luftwaffe griff drei zentrale Atomanlagen in Fordo, Natans und Isfahan an. Es war ein direkter Schlag gegen das Zentrum des iranischen Atomprogramms und ein symbolischer Angriff auf das sicherheitspolitische Selbstverständnis des Regimes.

Die Islamische Republik war auf diesen Moment nicht vorbereitet. Während das Aussenministerium von einem «illegalen Angriff während eines diplomatischen Prozesses» spricht und eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats fordert, teilte der Sprecher des iranischen Nuklearsicherheitszentrums mit, es habe keine radioaktiven Lecks gegeben. In den Staatsmedien wird die Dimension des US-Angriffs konsequent heruntergespielt. Es sei lediglich zu minimalen strukturellen Schäden gekommen. Bilder, die diese Darstellung untermauern könnten, bleiben aus.

Unabhängige Quellen zur Lage gibt es bislang nicht, da die Internetverbindungen in weiten Teilen des Landes erheblich gestört sind. Zugleich berichten Augenzeugen von umfangreichen Sicherheitsmassnahmen in Teheran und anderen Grossstädten: Strassensperren, Fahrzeugkontrollen und eine sichtbare Präsenz der Revolutionsgarden. Die Sorge der Staatsführung vor inneren Unruhen ist offensichtlich.

Gegenschlag auf US-Stützpunkte

Nach aussen jedoch wirkt die Kommunikation widersprüchlich. Während Diplomaten wie Aussenminister Abbas Araghtschi das Selbstverteidigungsrecht gemäss Artikel 51 der UN-Charta betonen und «alle Optionen» offenhalten, fordern Hardliner radikalere Schritte. Nur einen Tag vor dem US-Angriff erklärte Mahmoud Nabavian, ein ultrakonservativer Abgeordneter im iranischen Parlament, die USA sollten besser 50'000 Särge vorbereiten, bevor sie dem Iran auch nur feindselig in die Augen blickten. Nabavian spielte auf die rund 45'000 US-amerikanischen Soldaten in der Region an. Sollten sich die USA einmischen, werde kein Tropfen Öl mehr den Persischen Golf verlassen, drohte er.

Diese Drohung ist nicht neu. Die Schliessung der Strasse von Hormus galt lange als letztes Mittel iranischer Erpressungspolitik. Doch heute ist ihre Wirksamkeit fraglich. Ein Angriff auf den internationalen Ölhandel würde nicht nur die USA, sondern auch China und Indien gegen den Iran aufbringen – zwei Länder, deren diplomatische Zurückhaltung bislang zentral für die iranische Aussenpolitik war. Ein direkter militärischer Gegenschlag, etwa auf US-Stützpunkte in der Region, wäre zudem eine hochriskante Eskalation. Eine solche Aktion würde der US-Regierung vermutlich einen Vorwand liefern, in eine nächste Phase militärischer Angriffe überzugehen: weg von punktuellen Treffern auf Atomanlagen, hin zur systematischen Zerstörung von Infrastruktur und Kommandozentralen der Islamischen Republik.

Reaktion über Stellvertreter

Ein weiteres Szenario, das bis zum 7. Oktober 2023 ein zentraler Bestandteil iranischer Sicherheitspolitik war, ist eine asymmetrische Reaktion über regionale Stellvertreter. Die Huthi-Miliz im Jemen, Kataib-Hisbollah im Irak und die Hisbollah im Libanon könnten zu koordinierten Angriffen auf US-Interessen aktiviert werden. Diese Strategie wurde in der Vergangenheit genutzt, um iranische Beteiligung zu verschleiern. Die Huthis etwa hatten mehrfach angekündigt, Schiffe im Persischen Golf ins Visier zu nehmen, sollten sich die USA in den Krieg einmischen. Bislang gibt es jedoch keine Anzeichen für eine Umsetzung dieser Drohungen. Zudem hat die Schlagkraft dieser Gruppen in den vergangenen Jahren erheblich gelitten. Israel hat sie gezielt geschwächt. Die Hisbollah etwa ist derzeit kaum in der Lage, sich selbst im libanesischen Machtgefüge zu behaupten.

Symbolischer Vergeltungsschlag

Als dritte Option bleibt ein symbolischer Vergeltungsschlag, wie ihn der Iran nach der Tötung Kassem Soleimanis im Januar 2020 ausführte. Damals wurde ein US-Stützpunkt im Irak mit Raketen beschossen – ohne grössere Schäden oder Tote. Darauf weist unter anderem das Interview des iranischen Botschafters in Grossbritannien hin: Er sagte der BBC am Sonntag, die Vergeltungsmassnahmen des Irans würden den Ländern in der Region keine Probleme bereiten. Auch wenn solche Aktionen im Inland propagandistisch ausgeschlachtet werden können, haben sie an abschreckender Wirkung eingebüsst. Die symbolische Geste könnte gegenüber der enttäuschten Anhängerschaft stabilisierend wirken, wird jedoch das internationale Bild eines geschwächten Regimes kaum korrigieren.

Deeskalation

Ein weiterer denkbarer Weg ist die kontrollierte Deeskalation. Sie würde auf provokative Rhetorik verzichten und stattdessen auf diplomatische Kanäle setzen, um Zeit zu gewinnen und die eigene Sicherheitsstrategie zu überdenken. Grundlage für ein solches Vorgehen ist die vom Gründer des Regimes Ajatollah Chomeini formulierte Doktrin, wonach das Überleben der Islamischen Republik über allem stehe – sogar über religiösen Pflichten. Der Preis dafür wäre allerdings ein gewaltiger Autoritätsverlust, sowohl innenpolitisch als auch international.

Ein offizielles Eingeständnis der Niederlage oder gar eine Bereitschaft zu umfassenden Konzessionen, wie sie US-Präsident Donald Trump fordert, erscheint hingegen äusserst unwahrscheinlich. Keine Fraktion innerhalb des Regimes spricht davon, zumindest nicht öffentlich. Die ideologische DNA der Islamischen Republik basiert auf Widerstand, nicht auf Kapitulation. Ein solcher Schritt würde das Fundament des Staates erschüttern und könnte zu Spaltungen führen, die kaum kontrollierbar wären.

Die Islamische Republik steht somit vor einem strategischen Dilemma, in dem jede Option Risiken birgt. Eine Eskalation könnte einen umfassenden Krieg auslösen. Ein Zögern könnte als Schwäche interpretiert werden. Und die strategische Ratlosigkeit, die sich in widersprüchlichen Aussagen und verzögerten Entscheidungen manifestiert, verschärft die Unsicherheit. Dass Russland und China bislang öffentlich schweigen, unterstreicht zudem die aussenpolitische Isolation, in der sich der Iran derzeit befindet.

Die innenpolitische Dimension dieser Krise ist nicht zu unterschätzen. Die wirtschaftliche Lage ist dramatisch: Inflation, Arbeitslosigkeit und Devisenknappheit setzen der Bevölkerung zu. Ökonomen gehen davon aus, dass weniger als 15 Milliarden US-Dollar an frei verfügbaren Währungsreserven vorhanden sind. Das Protestpotenzial ist hoch – worauf sowohl der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu als auch oppositionelle Gruppen im Exil setzen. Gleichwohl agiert das Regime nach wie vor mit grosser Härte gegen jede Form von Dissens.

In der Bevölkerung herrscht eine Mischung aus Angst, Wut und Hoffnung. Manche sehen im US-Angriff den Anfang vom Ende des Regimes. Diejenigen, die den Krieg als Möglichkeit der Befreiung sahen, teilen nun die Sorge, dass die Zerstörung der Atomanlagen zwar das Ende des Kriegs, aber nicht das Ende des Regimes bedeuten könnte. Sie fürchten, dass die Führung, nun erniedrigt, mit noch grösserer Härte gegen die Bevölkerung vorgehen wird. Andere haben von Anfang an vor einer neuen Repressionswelle gegen die Zivilgesellschaft und Minderheiten gewarnt – eine Entwicklung, die mit der Hinrichtung eines Gefangenen, dem Spionage für Israel vorgeworfen wurde, bereits begonnen hat. Einige Hardliner rufen die Bevölkerung dazu auf, ihre Bahai-Nachbarn bei den Sicherheitsbehörden zu melden. Die Bahai sind eine gesetzlich nicht anerkannte religiöse Minderheit, die seit der Islamischen Revolution systematisch unterdrückt wird.

Jetzt auf

Die Angriffe Israels und schliesslich der Eintritt der USA haben nicht nur militärische Infrastruktur beschädigt, sondern eine strategische Illusion entlarvt, auf der die iranische Aussenpolitik über Jahre aufgebaut war. Es existiert kein Plan B. Je länger diese Ratlosigkeit andauert, desto grösser wird die Gefahr, dass sich interne Spannungen entladen.

Die Islamische Republik steht also an einem historischen Wendepunkt. Ihre Reaktion in den kommenden Tagen wird nicht nur über den Fortgang des aktuellen Konflikts entscheiden, sondern auch darüber, ob sie als strategischer Akteur überhaupt noch handlungsfähig ist. Der Mythos ihrer Unverwundbarkeit jedenfalls ist gefallen.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Rückblick auf das Jahr nach dem 7. Oktober
1 / 32
Rückblick auf das Jahr nach dem 7. Oktober
7. OktoberIm Morgengrauen des jüdischen Feiertags Simchat Tora startet die islamistische Terrororganisation Hamas einen Grossangriff auf das umliegende Gebiet in Israel. Mehrere Tausend Raketen werden aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Mehrere tausend Terroristen überwinden die Grenzbefestigungen und töten an einem Musikfestival und in mehreren Ortschaften wahllos Soldaten und vor allem Zivilisten. Bild: Ein Zimmer in einem Haus im Kibbuz Kfar Aza nach dem Angriff der Hamas. ... Mehr lesen
quelle: keystone / abir sultan
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Trump verkündet Bombardierung Irans
Video: extern
Das könnte dich auch noch interessieren:
29 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Raki
23.06.2025 11:30registriert Januar 2024
Die beste aller Optionen: Die Mullahs gehen nach Russland ins Exil und entlassen das persische Volk endlich aus der mehr als zwei Generationen andauernden Geiselhaft. Eventuell nimmt sie ja auch Kadyrov auf, falls Elmer Fudd keinen Bock auf bärtige Fundamentalisten in Russland hat oder sie anfangen mit dem Assad-Clan zu zanken.
6617
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hans Jürg
23.06.2025 12:18registriert Januar 2015
Die einzigen zwei Optionen dieser Mörderbande:
- nach Russland reisen und sich der Gnade Putins ausliefern
- sich ihrem Volk stellen und sich masakrieren lassen

Mittel bis langfristig sind das die einzigen Optionen, die ihnen noch offen stehen.
3511
Melden
Zum Kommentar
avatar
Maurmer
23.06.2025 12:26registriert Juni 2021
Warum genau bezeichnen wir die Regierung in Iran, aber auch die Syriens unter Assad als "Regime", tun das aber nicht bei Putin oder Xi?

Wenn wir davon ausgehen, dass der Terminus eine diktatorische / nicht demokratisch legitimierte Form der Herrschaftsausübung bezeichnet, dann qualifizieren sehr viele Länder dafür.

Mir fallen da Länder wie Saudi-Arabien, Singapur, Vietnam, VAE oder Oman etc ein. Da hab ich den Term Regime quasi nie gehört...

Letztlich wird der Begriff immer verbunden mit einer Agenda verwendet - sprich wenn uns etwas nicht passt.
3917
Melden
Zum Kommentar
29
Irans Atomprogramm in Schutt und Asche?
Die USA haben iranische Atomanlagen mit bunkerbrechenden Bomben überzogen. Von einer Bombe dürfte das Land jetzt sehr weit weg sein, sagt ein namhafter Forscher.

Das iranische Atomprogramm dürfte nach den Angriffen der USA in Trümmern liegen, so der namhafte Nuklearforscher Georg Steinhauser. «Da nicht nur die Anreicherungsanlagen, sondern auch die Zentrifugenfabriken angegriffen worden sind, wäre es eine Frage von Jahren oder womöglich Jahrzehnten, um das iranische Atomprogramm wieder aufzubauen», sagte der Professor der Technischen Universität Wien.

Zur Story